Pressemitteilung der Unabhängige Aufarbeitungskommission (UAK) am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) vom 20.10.2022 zum Sachstand der Kommissionsarbeit bis Oktober 2022

Am 20. Oktober 2022, 10.00 – 11.00 Uhr im Gebäude 11 der htw Saar, Raum 11.07.01, Malstatter Straße 17, in Saarbrücken

Teilnehmer: Prof. Jörg Ziercke, Vorsitzender der UAK, Frau Dr. Bergmann, Vorsitzende des Beirates, Matthias Katsch, Mitglied der UAK, Prof. Dieter Filsinger, Mitglied der UAK

Vorbemerkungen

Die Unabhängige Aufklärungskommission (UAK) am UKS soll im Auftrage des Aufsichtsrates des UKS diejenigen in den Mittelpunkt rücken, die im politischen Prozess der parlamentarischen Untersuchungen und der öffentlichen Schuldzuweisungen bisher keine zentrale Rolle gespielt haben: Es geht um die Kinder, die ehemaligen Patienten des UKS, als die eigentlichen Opfer und ihre Angehörigen. Wir wollen aber auch den Beschäftigten des UKS Aufklärung und Information geben über das, was wir heute wissen. Dieses Bedürfnis ist uns in den vielen Anhörungen von Beschäftigten des UKS vermittelt worden.

Wir haben nicht die Aufgabe, die Untersuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft, der Polizei, des Sonderermittlers, des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses oder von Gutachtern eins zu eins nachzuvollziehen. Dazu haben wir keine rechtlichen Instrumente und auch nicht die Mittel. Wir können lediglich die uns - und damit dem Aufsichtsrat -zugänglichen Informationen nutzen und Berichte einsehen.

Wir setzen dort an, wo wir Lücken und Defizite in den Beweiserhebungen zum Nachteil von betroffenen Opfern vermuten. Und dort, wo Strukturen, Organisation, Regelungen, Kommunikation oder Führungskultur des UKS mitursächlich dafür gewesen sein könnten, dass dieser Skandal sich so zum Leidwesen aller entwickeln konnte. Deshalb fragen wir, welche Rahmenbedingungen damals im Jahre 2010 diese Ereignisse begünstigt haben. Wir wollen verstehen, was und warum dies damals geschah!  Aufbauend auf diesem historischen Kontext schauen wir uns an, was seitdem zum Schutz von Kindern am UKS verbessert wurde. Anschließend werden wir auf der Grundlage unserer Untersuchungen Empfehlungen formulieren, damit der Schutz von Kindern am UKS für die Zukunft noch nachhaltiger ins Bewusstsein gerückt wird.

ZWISCHENBILANZ UND SACHSTAND DER AUFARBEITUNG

Am 26.Januar 2022 hatte der Vorsitzende der UAK die Öffentlichkeit über die Jahresplanung 2022 im Rahmen einer Pressekonferenz in Kenntnis gesetzt. Der Auftrag des Aufsichtsrates des UKS und die dargestellten Schwerpunktaufgaben haben sich seitdem nicht verändert.

Erfassung (möglichst) aller Verdachtsfälle in Verbindung mit dem verstorbenen Assistenzarzt S.

Das Vertrauen der Menschen, insbesondere von Betroffenen und Angehörigen, zu Ereignissen in den Jahren 2010 bis 2014 zu gewinnen, ist nicht einfach. Wir verstehen das Zögern der Mütter und Väter. Diese Belastung um die schwer vorhersehbare Reaktion der eigenen Kinder stellt eine Herausforderung dar. Insbesondere betrifft dies Situationen, die mit der Konfrontation von Verdachtsumständen eines sexuellen Missbrauchs zu tun haben. Möglicherweise sind auch Schuldgefühle vorhanden. Warum hatte man damals diesem Arzt vertraut und sein Kind nicht besser schützen können? Man fühlte sich im Schutz eines Krankenhauses sicher und die Untersuchungen durch einen Arzt hielt man für normal und den ärztlichen Regeln entsprechend. Heute kommt zur Abwägung dieser Aspekte hinzu, dass auch nicht alle betroffenen Kinder von einem sexuellen Missbrauch etwas mitbekommen hatten.

Ferner geht es um die Abwägung des berechtigten Interesses an der Aufarbeitung und um die Bereitschaft zur Mitwirkung, um zukünftige Geschehnisse zu verhindern.

Der Anreiz von Entschädigung, Schmerzensgeld und Wiedergutmachung spielt offensichtlich keine entscheidende Rolle.

In den dargestellten Faktoren steckt ein Dilemma, das sich auf die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Kommission auswirkt.

Die Kommission hat sich daher auf eine breite und transparente öffentliche Information über ihre Aktivitäten auf der Homepage der „UAK Saarland“ und eine akribische Aufarbeitung der bekannten Verdachtsfälle und von potenziell Betroffenen konzentriert.

Vorgehensweise bei der Erhebung von Verdachtsfällen in Verbindung mit der Behandlung in der KJP

  • Nach 300 Anschreiben an potentiell Betroffene im Jahr 2019 durch das UKS, sind erneut durch die UAK 300 Schreiben im Oktober 2021 und erneut im Juni 2022 weitere 200 Schreiben an diesen Adressatenkreis verschickt worden.

Bei der UAK gab es 2021 insgesamt 41 Rückmeldungen, aber nur 28 davon stimmten einer Überprüfung der Patientenakte zu. Von den 200 Familien im Juni 2022 gab es weitere 11 Rückmeldungen, zum Teil mit Zustimmung zur Überprüfung der Patientenakte.

  • 40 weitere Anschreiben sind an Familien über den Judoclub, Homburg-Erbach Kenshi, versandt worden. Hier gab es überraschenderweise keine Rückmeldungen.
  • Eine fünfwöchige Artikelserie der UAK im Wochenblatt des Saarlands , das eine große Auflage und Reichweite hat, führte zu 11 Rückmeldungen von angeblich Betroffenen, die noch in der Prüfung sind. Eine Zustimmung zur Prüfung der Patientenakte war nicht dabei.
  • 33 weitere Anschreiben gingen an Familien, deren Kinder in der stationären Behandlung in der KJP in den Jahren 2010 bis 2014 waren, und der Zielgruppe des verstorbenen Assistenzarztes S. entsprachen. Derzeit gibt es noch keine Rückmeldungen.
  • 3 Familien außerhalb des Saarlandes mit Bezug zu S. vor seiner UKS-Zeit wurden mit Unterstützung der StA Saarbrücken angeschrieben. Auch hier gibt es bisher keine positiven Rückmeldungen
  • Universität des Saarlandes : Es handelt sich um Anschreiben an ca. 50 Familien, deren Kinder in  einer  wissenschaftlicher Studie und im Rahmen des Promotionsvorhaben Kontakt zu S. gehabt haben könnten.  Dies betrifft die Jahre 2006 bis 2014. Nunmehr darf die UAK nach Intervention der Unabhängigen Kommission beim Landesdatenschutzzentrum des Saarlandes diese Familien über die Universität des Saarlandes anschreiben. Wir haben bisher keine Hinweise auf körperliche Untersuchungen dieser Kinder durch S. gefunden, können aber auch nicht ausschließen, dass S. nach seiner speziellen Vorgehensweise eine Kontaktaufnahme versucht hat.
  • Angestrebte Veröffentlichung im Ärzteblatt Saarland und Rheinland- Pfalz: Evtl. behandelnde Ärzte von Betroffenen werden gebeten, Hinweise an diese Familien geben, um sich mit der UAK in Verbindung zu setzen. Dieses Verfahren läuft aktuell noch.
  • Das gilt auch für mindestens 30 Familien, die sich im Jahr 2019 beim Weißen Ring des Saarlandes gemeldet hatten. Diese werden über den Weißen Ring gebeten, sich an die UAK zu wenden.
  • Eine umfangreiche Berichterstattung auf der Homepage der UAK, ferner Videoclips der Auftaktveranstaltung 2021 und Videointerviews von Mitgliedern der Kommission 2022 zu ausgewählten Themen der Kommissionsarbeit sind im Rahmen vertrauensbildender Maßnahmen zusätzlich erfolgt.

Besondere Verdachtsfälle ohne Verbindung zum Assistenzarzt S.

Die Kommission hat sich mit drei weiteren gemeldeten Fällen beschäftigt. Zwei angeblich Betroffene haben einen direkten Kontakt mit der UAK abgelehnt und melden sich inzwischen nicht mehr, obwohl wir Brücken für eine vertrauliche Kontaktaufnahme angeboten haben.  In einem weit zurückliegenden Fall ist der von einem Betroffenen beschuldigte frühere Arzt des UKS bereits im Ruhestand und angeblich außerhalb Deutschlands aufhältlich. Wir korrespondieren derzeit mit seinem Anwalt, um eine Möglichkeit zur Aufarbeitung der Verdachtsumstände herbeizuführen.

Erhebung von Verdachtsfällen in Verbindung mit Verletzungen im OP der HNO

Zwei gravierende Fälle mit Verletzungen wurden im OP der HNO-Klinik 2012 und 2014 festgestellt.

Fünf weitere Fälle ohne Verletzungen wurden vom UKS als besondere Vorkommnisse vorsorglich gemeldet.  Die Staatsanwaltschaft hatte in allen Fällen die Akten beschlagnahmt, umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. Alle Verfahren wurden eingestellt.

Die Kommission hat sehr ausführlich die Abläufe im OP in der HNO-Klinik mit den beteiligten Abteilungen Klinik Anästhesie und Kinderklinik durch praktische Inaugenscheinnahme und eine Vielzahl von Anhörungen untersucht. Im Ergebnis bleibt trotz der gutachterlichen Stellungnahmen die tatsächliche Rekonstruktion der Verletzungen ungeklärt. Auch die Gutachter konnten keine Beweise vorlegen, sondern nur Wahrscheinlichkeiten bewerten.

Für die UAK steht fest, dass häusliche Gewalt und sexuelle Gewalt im OP der HNO des UKS als Ursachen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausscheiden.

Nach Auffassung der UAK sind die Verletzungen aber im UKS erfolgt. Körperverletzungen liegen daher vor.

Die UAK ist bei ihren Recherchen zum Fall aus dem Jahr 2012 auf die Entnahme von Abstrichen durch die Rechtsmedizin des UKS unmittelbar nach Feststellung der Verletzungen im OP-Raum gestoßen. Erstaunlicherweise wurden diese Abstriche bis zum Jahr 2019 nicht befundet. Im Jahr 2019, nachdem die Staatsanwaltschaft Saarbrücken erstmals in die HNO-Fälle eingeschaltet worden war, ist durch die Rechtsmedizin in Mainz eine Befundung erfolgt. Ergebnis: Fremd-DNA wurde dabei nicht festgestellt.

Dieses Ergebnis hätte bereits im Jahr 2012 vorliegen können. Der Verdacht des sexuellen Missbrauchs durch Manipulation oder Penetration hätte auch im Lichte dieses Ergebnisses der DNA -Untersuchung bewertet werden müssen. Auch im Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses finden sich diese Ergebnisse der Abstrichuntersuchungen nicht. Anwälte der Betroffenen haben diese fehlende Befundung bisher nicht thematisiert.

Eine ausgewogene Bewertung konnte nach Auffassung der UAK ohne die Befundung der Abstriche nicht stattfinden. Letztlich ist auch die Befundung der Abstriche aber nur ein Indiz.

Es darf aber angenommen werden, dass die Debatte über einen möglichen häuslichen Missbrauch, aber auch im Hinblick auf einen sexuellen Missbrauch im UKS, bei einem negativen DNA-Befund im Jahr 2012 als weniger wahrscheinlich eingestuft worden wäre. Die Gründe für das Unterlassen der Befundung 2012 konnten bisher nicht aufgeklärt werden.

Zusammenarbeit mit dem Westpfalz Klinikum Kaiserslautern

Das Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern hat die Kommission über die Ergebnisse der eigenen Task Force -Recherchen ausführlich informiert. Ein mutmaßlicher Verdacht des sexuellen Missbrauchs oder distanzlosen Verhaltens durch S. war dem Klinikum bei Antritt des sogen. Fremdjahres im Rahmen der Facharztausbildung im Jahr 2014 nicht mitgeteilt worden. S. soll Vorschläge zum Aufbau einer Ausscheidungsambulanz/KJP wie in Homburg gemacht haben. Diesem Ansinnen ist man aber nicht gefolgt. S. wurde in Kaiserslautern auch nicht zur ärztlichen Versorgung von Kindern eingesetzt. Hinweise auf Betroffene am Klinikum gibt es bisher nicht.

Von einer Familie in Kaiserlautern steht allerdings noch eine Rückmeldung aus, weil dort ein Kontakt mit S. bestanden hatte.

Zusammenarbeit mit den Jugendbehörden

Vom Regionalverband Saarbrücken wurde im Jahr 2016 eine rechtliche Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF) zur Frage eingefordert, ob das Jugendamt dazu berechtigt sei, den Arbeitgeber aus rechtlichen Gründen über die Vorgänge in Kenntnis zu setzen. Vom Institut wurde dringend davon abgeraten, woraufhin der Arbeitgeber UKS nicht informiert wurde. Zuvor hatte das Jugendamt Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet.

Die Kommission hält diese Argumentation für sehr fraglich. Es zeigt sich für die Kommission ein Kreis von beteiligten Stellen (u.a. Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendbehörde, Landesärztekammer), die alle das Wissen haben, um Gefahren von Kindern im UKS durch einen mutmaßlich pädosexuellen Arzt abwehren zu können, aber im Fall S.  der Auffassung sind, die jeweils andere öffentliche Stelle sei zuständig und werde den Arbeitgeber UKS schon informieren. Diesen Kreisverkehr der fehlenden Verantwortlichkeit für die Abwehr von Gefahren gegenüber Kindern bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch gilt es zu unterbrechen.

Die UAK hat zwei Rechtswissenschaftler als Gutachter eingesetzt, die ggf. auch einen Vorschlag für eine notwendige Gesetzesänderung vorlegen sollen.

Beauftragte Gutachten UAK - Ergebnisse Ende November/Mitte Dezember 2022

  1. Sozialwissenschaftliche Analyse der Organisation UKS im historischen Kontext
  2. Rechtswissenschaftliche Analyse der ereignisrelevanten internen Regelungen des UKS im historischen Kontext
  3. Kriminologische Analyse von Täterstrategien des sexuellen Missbrauchs und Auswirkungen auf Schutzkonzepte
  4. Rechtswissenschaftliche Analyse der Informationspflichten zwischen öffentlichen Stellen
  5. Medienanalyse zur Krisenkommunikation des UKS

Weitere Informationen über Schwerpunkte

Die UAK hat eine Veranstaltung mit Herrn Prof. Fegert von der Universität Ulm durchgeführt. Prof. Dr. Fegert war mit der Auditierung der Schutzkonzeption des UKS beauftragt. Die UAK wird die Ergebnisse der kriminologischen Analyse zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Krankenhäuser in die Empfehlungen für die Schutzkonzeption des UKS einbringen.

Die UAK hat ein Arbeitspapier zum Auftrag Entschädigung, Schmerzensgeld, Wiedergutmachung entwickelt und prüft aktuell die persönliche Anspruchsberechtigung derjenigen, die bisher Kontakt zur UAK aufgenommen haben. Das Konzept soll auch evtl. Nachzüglern es ermöglichen, zu einem späteren Zeitpunkt Ansprüche geltend zu machen.

Die UAK berät demnächst über ein vorgelegtes Arbeitspapier zur Umsetzung des Auftrags des Aufsichtsrates zu einer Erinnerungskultur am UKS.  Dabei werden wir auch die anderen Opferhilfseinrichtungen im Saarland einbeziehen. Die Entwicklung dieser Konzeption erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Beirat der UAK.

Die UAK hat zum Thema Umgang mit Angehörigen und Betroffenen in der kritischen Phase nach Bekanntwerden der Ereignisse am UKS Führungskräfte des UKS gezielt angesprochen. Die Bereitschaft von mehreren Führungskräften des UKS für diese Gespräche liegt vor. Das gilt auch für die Gesprächswünsche von Angehörigen.

Die UAK setzt derzeit mit der Zustimmung des Aufsichtsrates des UKS vom 6. September 2022 eine Konzeption zur Durchführung eines Verständigungsprozesses mit Betroffenen/Angehörigen und Beschäftigten des UKS um.  Der UAK geht es vorrangig um die öffentliche Feststellung der institutionellen Verantwortung und eine öffentliche Entschuldigung durch das UKS, ohne die nach der festen Überzeugung der Kommission ein Verständigungsprozess zwischen Betroffenen und Angehörigen und dem UKS nicht gelingen kann.

Die Ärztliche Direktorin, Frau Prof. Dr. Diedler, hat diesen Kommunikationsprozess und dieses Verständigungskonzept von Anfang an positiv begleitet!

Der Auftakt mit zwei Workshops der UAK mit Angehörigen von Betroffenen hat bereits stattgefunden. Weitere Workshops werden folgen. Am 19.10.22 hat in Homburg am UKS zu diesem Thema eine virtuelle Personalversammlung stattgefunden, in der ich als Vorsitzender der UAK den Beschäftigten den Sachstand zum Aufarbeitungsprozess und zum eingeleiteten Verständigungsprozess dargestellt habe. Dazu wird Frau Prof. Diedler noch das Wort ergreifen.

Die UAK bereitet sich auch auf die öffentliche Abschlussveranstaltung im Frühjahr 2023 vor. Das betrifft die Empfehlungen für den Abschlussbericht und die dazu erforderlichen Informations- und Arbeitsgespräche mit Betroffenen/Angehörigen. Dazu gehört auch eine Berichterstattung gegenüber dem Vorstand des UKS und dem Aufsichtsrat. Ferner möchten wir im Rahmen einer Personalversammlung den Beschäftigten des UKS die Empfehlungen der UAK präsentieren.